Zeitgeist der Jugend – von Juliette Stenzel

Elise beobachtete voller Neugier die Gruppe Jugendlicher vor ihr. Drei Jungs und zwei junge Mädchen. Alle hatten eine Zigarette und Alkohol in der Hand. Die Gruppe unterhielt sich über das letzte große Fest, bei dem scheinbar eines der Mädchen ihre kompletten Klamotten verloren hat. Das blonde Mädchen, das noch nicht einmal 16 zu sein schien, schämte sich keineswegs über den Vorfall. Sie lachte laut und zog ihr T-Shirt nach oben, sodass man ihre Unterwäsche erkennen konnte. Elise war sehr überrascht, denn obwohl die vier anderen Jugendlichen eher weniger gebildet zu sein schienen, drückte sich das blonde Mädchen sehr gewählt aus.

Plötzlich wurde die Gruppe auf Elise, die auf der Bank gegenüber von ihnen saß, aufmerksam. Der größte der drei Jungen stand auf und lief hinüber zu Elise und setzte sich neben sie: „Na, Alte? Genug gegafft? Wir haben hier eine Privatparty und es wäre besser wenn du abziehen würdest…“. Elise blieb ruhig obwohl ihr Herz ein wenig schneller zu klopfen begann. „Haben dir deine Eltern denn kein Benehmen beigebracht? Mit älteren Menschen sollte man etwas respektvoller umgehen!“, erwiderte sie. Nun kam das blonde Mädchen zu ihnen und zog an dem Arm des Jungen: „ Kevin, lass die alte Dame in Ruhe. Sie hat dir doch gar nichts getan! Lass uns einfach weiter gehen. Im Park gibt es doch noch so viele Bänke!“. „Halt die Schnauze, Schlampe!“, rief Kevin wütend, „und ich mach mit dem alten Weib was ich will! Hast du verstanden, Lilly“. Das Mädchen blickte traurig nach unten und nickte. Sie schien Angst vor Kevin zu haben. Die Anderen hatten sich nun um Elise gestellt und lachten höhnisch. Sie ermutigten Kevin, Elises Handtasche zu klauen. „Dann ziehen wir dir mal deine Tasche ab. So eine Alte, wie du hat bestimmt ´ne Menge Kohle“. Mit diesen Worten entriss er Elise ihre Tasche und drückte sie Lilly in die Hand. „So Leute, lasst uns abhauen. Bevor die Alte noch anfängt zu schreien!“ Die Gruppe stand auf und lief davon, ohne ein weiteres Wort über den Überfall zu verlieren.
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Elise bekam keine Worte heraus. Sie zitterte am ganzen Körper. Im Moment war sie zu überwältigt, um auch nur daran zu denken, aufzustehen um Hilfe zu Suchen. Sie saß noch an derselben Stelle, als ein paar Minuten später das blonde Mädchen, namens Lilly, angerannt kam. Lilly setzte sich neben sie und drückte der alten Dame ihr Portemonnaie in die Hand. „Ich habe es schnell aus ihrer Tasche geholt. Es geht Kevin gar nicht um ihr Geld. Er wollte sich vor uns nur mal wieder beweisen…. Es wird ihm gar nicht auffallen, dass in ihrer Tasche kein Geldbeutel ist. Nur ihre Tasche kann ich ihnen nicht zurück bringen. Er würde mich und meine Familie bedrohen“, erklärte das junge Mädchen.
Elise fand keine Worte. Sie blickte Lilly mit offenem Mund an. Diese ergriff wieder das Wort: „Es tut mir wirklich unglaublich leid. Wenn ich den Mut hätte und ihm nicht haushoch unterlegen wäre, hätte ich ihm das gar nicht durchgehen lassen“. Sie senkte ihren Kopf.

„Ich muss jetzt aber wieder zurück. Ich habe den Anderen erzählt, dass ich mein Handy hier vergessen habe. Ich hoffe in ihrer Tasche war nichts allzu Wichtiges. Es tut mir wirklich wahninnig leid“, sagte Lilly. Bevor das Mädchen weglaufen konnte packte Elise ihre Hand. Überrascht drehte Lilly sich zu der alten Dame. „Du scheinst so ein gutherziges, intelligentes Mädchen zu sein. Aus welchem Grund verbringst du deine Zeit mit diesen schlechten Menschen?“, fragte Elise. Mit einem Mal schien das junge Mädchen um Jahre gealtert zu sein: „Das ist der Zeitgeist unserer Jugend…“.

Von: Juliette Stenzel

Für den Inhalt und die Gestaltung der Geschichten sind die benannten Autoren verantwortlich. Alle Rechte liegen bei den Autoren.

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Mandy Meyer-Steffan