Thomas
Crowdsourcing gibt es erst seit dem frühen 21. Jahrhundert. Falsch! Glauben Sie nicht? Wir haben zur Entwicklung des Crowdsourcings recherchiert, sind dabei auf spannende Informationen gestoßen und möchten diese hier gerne mit Ihnen teilen.
Die Entwicklung des Crowdsourcings geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. So schrieb die britische Regierung 1714 beispielsweise den „Longitude Preis“ aus. Letzterer war mit 20.000 Pfund dotiert und für denjenigen gedacht, der eine zuverlässige Methode entwickelte, um den Längengrad zu berechnen, auf dem sich ein Schiff befand.
1783 verlieh der Ludwig XVI. von Frankreich einen Preis zur Herstellung von reinem Soda, auch als Natriumcarbonat bekannt.
Für die Lösung beider Aufgaben wurde also nicht je ein Experte beauftragt, sondern die Aufgabe als Ausschreibung an eine Masse gerichtet. Bei der Längengradberechnung ging der Preis an John Harrison, einen Uhrenmacher, der den Längengrad mithilfe von sehr genauen Uhren berechnete. Das Soda-Problem wurde von Nicolas Leblanc gelöst.
Im 19. Jahrhundert entschlossen sich in Großbritannien ein paar kluge Leute, eine Bestandsaufnahme der gesamten englischen Sprache durchzuführen. Dies war die Geburtsstunde des Oxford English Dictionary. Nein, nicht ganz die Geburtsstunde, denn die Wehen wollten nicht einsetzen. Ein solches Mammutprojekt konnten Einzelne nicht bewältigen. Kurz entschlossen rief der Philosoph James Murray im Jahre 1879 die englischsprachige Leserschaft auf, ihm Belegstellen mit alltäglichen und auch ungewöhnlichen Wörtern zu senden. Der Aufruf fand enormen Widerhall. Das Oxford English Dictionary ist damit das erste Projekt, bei dem eine Projekt-Aufgabe in einen Schwarm ausgelagert wurde – Crowdsourcing im wahrsten Sinne des Wortes.
Doch zu einem richtigen Boom wurde Crowdsourcing erst mit der Entwicklung des Web 2.0 – also der Form des Internets, die erstmalig die Interaktion zwischen den Nutzern zuließ.
Eines der ersten Crowdsourcing-Projekte des Web 2.0 und auch eines der bekanntesten überhaupt ist das Online-Lexikon Wikipedia.
Es geht wahrscheinlich auf eine Idee des Internet-Pioniers Reick Gate zurück, der 1993 in einer Newsgroup im Usenet die Idee zu einer Enzyklopädie im World Wide Web vorstellte. Doch das Projekt Interpedia kam nie übers Planungsstadium hinaus. Auch die im Jahr 1999 von Richard Stallman angeregte GNUPedia schaffte es nicht.
Schließlich wurde es ein „Fun-Projekt“
Logo der Nupedia (Quelle: Wikipedia)
Im März 2000 wurde Nupedia gegründet. Es war der Versuch von Jimmy Wales und Larry Sanger, eine englischsprachige Internet-Enzyklopädie zu erstellen. Allerdings verlief hier die Artikelerstellung wie bis dato für Lexika üblich. Autoren bewarben sich. Ihre Texte durchliefen ein Peer-Review-Verfahren und es gab einen Chefredakteur.
Doch schon Ende 2000/Anfang 2001 bekamen Sanger und Wales vom Wiki-System Wind. Bei diesem konnten, was damals kaum üblich war, Nutzer nicht nur Webseiten lesen, sondern direkt im Browser verändern.
„Am 15. Januar 2001 war das Wiki der Nupedia unter der eigenständigen Adresse wikipedia.com abrufbar. Dieser Zeitpunkt gilt seither als die Geburtsstunde der Wikipedia.“
[„Wikipedia“, https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia, 26.03.2018.]
Aktuelles Wikipedia-Logo (Quelle: Wikipedia)
Eigentlich sah Sanger Wikipedia nur als „Fun-Project“ neben Nupedia an, doch schließlich entwickelte sich das Crowdsourcing-Projekt zum wichtigsten Nachschlagewerk der westlichen Kultur.
Soweit unser Ausflug in die Geschichte des Crowdsourcings. Doch bevor wir uns aktuelle Entwicklungen anschauen, wollen wir dem Begriff ein wenig Aufmerksamkeit schenken.
Crowdsourcing als Wort wurde das erste Mal im Jahr 2006 von Jeff How verwendet. In der damaligen Juni-Ausgabe des Magazins „Wired“ schrieb er Folgendes:
“Technological advances in everything from product design software to digital video cameras are breaking down the cost barriers that once separated amateurs from professionals. Hobbyists, part-timers, and dabblers suddenly have a market for their efforts, as smart companies in industries as disparate as pharmaceuticals and television discover ways to tap the latent talent of the crowd. The labour isn’t always free, but it costs a lot less than paying traditional employees. It’s not outsourcing; it’s crowdsourcing.”
Crowdsourcing ist in vielen Bereichen einsetzbar. Zur besseren Unterscheidbarkeit wird Crowdsourcing heute in folgende sechs Hauptarten unterteilt:
Um etwa ein Projekt wie das erwähnte Oxford English Dictionary zu realisieren, wäre der finanzielle Aufwand enorm. Es müssten Autorinnen und Autoren engagiert, Arbeitsräume gemietet und eine Infrastruktur bereitgestellt werden. Schafft die Crowd es, ein Wörterbuch zusammenzustellen, reduzieren sich die Kosten enorm. Gleiches gilt etwa für Tests einer Software. Über so viele Hardwarekonfigurationen wie sie in der Crowd vorzufinden sind, können Sie niemals selbst verfügen.
Selbstverständlich löst eine große Masse an Leuten eine Aufgabe eher, als wenige Mitarbeiter. Wollen Sie beispielsweise ein Glossar für Ihre Homepage erstellen, ist das per Microworking schnell erledigt.
Beispiel:
In welchem Maße Crowdsourcing allein Zeit spart, zeigt eine Aktion der Universität Oxford aus dem Jahr 2009. Angestellte wählten für ihr Galaxy-Zoo-Projekt, bei dem es um die Kartierung einer Galaxie ging, einen Crowdsourcing-Ansatz. Mithilfe der Öffentlichkeit konnte die Aufgabe innerhalb von vier Monaten gelöst werden. Hätte die Universität die Aufgabe allein erledigen müssen, hätte die Dauer zwei Jahre betragen.
Je größer die Menge an Menschen ist, die an einem Projekt arbeitet, desto mehr Wissen und Erfahrung kommen zusammen. Wenn das Wissen und die Erfahrungen richtig gelenkt werden, entsteht ein enorm kraftvolles Werkzeug.
„Neue Besen kehren gut“, da sie noch nicht betriebsblind sind. In der Crowd haben Sie sehr viele „neue Besen“ zur Verfügung. Problemlösungen werden entwickelt, die den eigenen Tellerrand deutlich überschreiten.
Ein gut platziertes Crowdsourcing-Projekt erhöht dessen Bekanntheit. Sie können beispielsweise schon während der Produktentwicklung neugierig auf das Produkt machen und somit dessen Absatzchancen erhöhen.
Ebenso wie sich die Produktbekanntheit durch Crowdsourcing erhöhen lässt, bekommen Sie Feedback zum Produkt. Testen Sie etwa die Akzeptanz am Markt bereits in einer sehr frühen Entwicklungsphase und/oder holen Sie sich über Umfragen Informationen zu Ihrer Zielgruppe ein.
Warum ein Kreditinstitut von Ihrer Idee überzeugen? Überzeugen Sie die Masse! Wenn Sie Ihnen das Geld für die Realisierung Ihres Plans bereitstellt, dann haben Sie nicht nur die Finanzierung gesichert. Sie wissen auch, dass Ihre Idee auf breites Interesse stößt und viele davon überzeugt sind.
Wo früher Konsumenten brav die Produkte und Dienstleistungen der Unternehmen schluckten und maximal einen Beschwerde- oder Lob-Brief schrieben, sieht es heute anders aus. Aus Konsumenten wurden dank des Crowdsourcings „Prosumenten“. Diese bringen ihre Bedürfnisse und Wünsche schon während der Entstehungsphase eines Produktes aktiv ein.
Beispiel:
Wenn es darum geht, ein Produkt weiterzuentwickeln, nutzen viele Hersteller die Produktrezensionen des aktuellen Produktes etwa bei Amazon. Hier finden sie viele Anregungen für Änderungen und Verbesserungen.
Dank digitaler Plattformen müssen Arbeitsabläufe nicht unbedingt zentral verwaltet und von oben gesteuert werden. Die Crowd kann sich eigenständig vernetzen und intern die Abläufe organisieren.
Schlechte Produkte und Dienstleistungen, die jahrelang am Markt Bestand haben? Die Crowd macht durch ihr Feedback schnell auf Mängel aufmerksam. Sie hilft damit nicht nur Nutzern, sondern liefert auch Unternehmen Verbesserungsvorschläge.
Außerdem wird die Interaktion von Unternehmen und Konsumenten/Prosumenten verbessert. Die Transparenz der Unternehmen gegenüber den Verbrauchern erhöht sich. Das passiert meist allein aufgrund der Tatsache, dass die meisten Unternehmen und Institutionen nicht wirken wollen, als hätten sie etwas zu verbergen.
Crowdsourcing verändert die moderne Arbeitswelt. Laptops, Tablets ja sogar Smartphones erlauben es, extrem mobil zu arbeiten. Außerdem ermöglichen es Cloud-Dienste, geräteunabhängig auf Daten zuzugreifen. Menschen sind damit eher bereit, auch einmal zu Hause oder unterwegs Aufgaben zu erledigen.
Des Weiteren bringen sich Nutzer selbst in Arbeitsprozesse ohne Bezahlung ein und das mit sehr viel Engagement. Man denke nur an Spieleentwickler, die Vorversionen auf einer Plattform wie Steam bereitstellen. Spieler zahlen sogar für diese unfertigen Produkte und geben dem Entwickler anschließend Feedback. Auf dieser Basis können dann während der Spiel-Entwicklung Bugs beseitigt, das Game-Balancing verbessert und Wünsche sowie Verbesserungsvorschläge angenommen werden.
Durch Crowdsourcing vermindern sich die typischen 8-bis-16-Uhr-Jobs. Arbeit- und Privatleben verschmelzen immer mehr miteinander.
In der Crowd spezialisieren sich Spezialisten immer weiter, da sie nur zu einem Thema arbeiten. Das ist in klassischen Unternehmensstrukturen oft nicht möglich, denn der absolute Excel-Experte muss eben auch ab und zu Word-Vorlagen erstellen oder mal eine Festplatte aufräumen. In der Crowd kann sich der Excel-Experte die Aufgaben suchen bzw. finden lassen, für die er das Expertentum besitzt. Der Spezialist baut so seine Fähigkeiten immer weiter aus.
Außerdem werden Aufgaben beim Crowdsourcing oftmals in viele Teilaufgaben gespaltet. In diesen Nischen können sich sehr leicht hochspezialisierte Experten entwickeln. Damit sparen Unternehmen Kosten und Zeit, da die Spezialisten auf Basis ihres Wissens und ihrer Erfahrung sehr schnell arbeiten – und das in hoher Qualität.
Die Entwicklung des Crowdsourcings ist unmittelbar mit unserer Arbeits- und Lebenswelt verbunden. Unternehmen sowie Angestellte können in vielerlei Hinsicht stark davon profitieren. Das Ende der Entwicklung des Crowdsourcings ist noch nicht abzusehen. Wir sind gespannt, wie technologische und gesellschaftliche Entwicklungen das Crowdsourcing auch in Zukunft beeinflussen und welche neuen Einsatzbereiche dadurch entstehen.
Thomas